Das Grundlagenpapier zur Sexualmoral in Kirche ist bei der Synodalversammlung gescheitert. Gegen die große Zustimmung der gesamten Versammlung kam die notwendige Zwei-Dritte-Mehrheit der Bischöfe nicht zustande. Ich will hier gar nicht diskutieren, ob die Vertreter des Papiers zur Sexualmoral richtig liegen, oder die, die dagegen stimmen. Ich möchte stattdessen die Aufmerksamkeit auf einen einzelnen Aspekt legen: Von der Idee her waren in der Synodalversammlung alle gemeinsam versammelt – Bischöfe und „Laien“ (also kurz: alle Ungeweihten). Schon die Gruppe der Laien stellt im Unterschied zur Zivilgesellschaft immer noch hochmotivierte und zumindest hoffnungsvolle Vertreter derselben.
Halten wir das im Hinterkopf, wenn wir uns das Abstimmungsergebnis ansehen: Mindestens 21 Bischöfe verweigerten sich dem Text und sprachen damit für 12 Laien. Oder anders: Knapp 40% der Bischöfe vertreten 8% der Laien und ignorieren den Rest. Man muss das mal mit Spielfiguren aufstellen, um das Missverhältnis wirklich zu sehen.
Papst Franziskus sagte vor 9 Jahren in der Gründonnerstagsmesse:
«Seid Hirten mit dem ‘Geruch der Schafe’.»
Das war ein Hoffnungsschimmer für alle die, die sich selber als Schafe verstehen.
Dazu passt auch im ersten Moment ein Podcast von Weihbischof Puff, Köln: Ein Bekannter hatte ihm erklärt, dass verlorene kleine Schafe vom Hirten auf den Schultern zurückgetragen werden.
„Soweit, so romantisch“ sagte er, „aber was die meisten Menschen nicht wissen: Wenn ein kleines Schaf Angst hat fängt es an zu pinkeln. Und dem Hirten läuft die Pisse den Rücken herunter. Da hört jede Romantik auf. Trotzdem gilt: Der richtige Hirt schmeißt das Schaf jetzt nicht in die Ecke und sagt: ‚Ih, eklig‘, sondern freut sich. Hauptsache dem Schaf geht’s wieder gut.“ (Domradio, 24.Mai 2017)
Das klang erstmal revolutionär: Hirten die sich nicht zu fies sind, angepinkelt zu werden. Soweit, so romantisch. Zugleich aber liegt hier die zweite Deutung, die die Haltung der Geweihten oft prägt: Ich muss Verlorene retten, darum halte ich auch aus, wenn ich angepinkelt werde. – Da hört dann auch erneut jede Romantik auf.
Als ich selber vor gut 20 Jahren in einem interdiszplinären Theologieseminar naiv fragte:
„Was ist eigentlich, wenn das Schaf sich nicht verirrt, sondern einfach mit der Herde nicht mehr glücklich ist und geht?“
– da drehte sich ein vor mir sitzender (geweihter!) Professor um und sagte:
„Dann kommt der deutsche Schäferhund und holt es zurück.“
Und nach einer Kunstpause ergänzte er:
„Und der Schäferhund, das ist der Generalvikar.“
Die Pointe dahinter ist: Ein Hirte weiß es besser, der rettet dich, auch wenn du selber gar nicht glaubst in Gefahr zu sein.
Und genau so erleben die, die mit Nein gestimmt haben, das große Verantwortungsgefühl, dass dieser Text nicht ‚gut“ für die Menschen ist, obwohl vorher klar war, dass er von einer überwältigenden Mehrheit der Versammlung gestützt wurde. Damit bildet aber die Gesamtgruppe der Bischöfe in ihrer Zusammensetzung nicht ansatzweise mehr die Gruppe der Laien ab, geschweige denn die Zivilgesellschaft.
Man hätte es kommen sehen können. Der Vorschlag, auf Amtstitel zu verzichten, um sich auf Augenhöhe begegnen zu können, scheiterte direkt zu Beginn. In George Orwells „Animal Farm“ sind alle Tiere gleich, aber manche gleicher. In der Kirche nennt man das ontologische Veränderung.
Die macht sich auch an überraschenden Stellen bemerkbar. Wenn etwa am Christkönigssonntag im Lesejahr A der alttestamentliche Text von Ezechiel von der Leseordnung so gekürzt wird, dass man nur ab Vers 34,11 die Passagen über die Schafe hört, nicht aber die über die Verfehlungen der Hirten (1-10).
Unabhängig von der Frage, ob der Text in sich „richtig“ oder „falsch“ ist, bleibt das nüchterne Ergebnis, dass die Haltung der Bischöfe als Gruppe nicht ansatzweise die Haltung der anwesenden Laien als Gruppe abbildet. Die Bischofskonferenz vertritt als Gesamt nicht die Interessen der Laien, sie setzt stattdessen die Leitplanken, ohne Verkehrsplaner zu berücksichtigen. Die nächste Austrittswelle derer, die hochengagiert in Gemeinden sind, ist abzusehen. Da kommt inzwischen auch der deutsche Schäferhund mit dem Einsammmeln nicht mehr hinterher.
Ein gewählter Bundeskanzler müsste hier die Vertrauensfrage stellen. Oder churchy formuliert: Man müsste beim großen Schiff, das sich Gemeinde nennt jetzt gemeinsam das Ruder rumreißen. Aber in der Kirche geht es am Ende wieder nur um ‚meine Arche‘, wie der Franzose sagt.
Und damit ist der Synodale Weg tatsächlich ein schlecht geklebtes Kompositum: Denn für die einen ist er synodal, für die anderen einfach nur ein Weg, den sie unbeirrbar weitergehen.
Tobias Kölling
Der Autor ist Pastoralreferent im Bistum Aachen.
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